belledejour
 

 
Mittwoch, 9. Juni 2004

Liebes Publikum,
ich weiß, gerne würden sich Menschen wieder mit meinen kleinen Geschichten erfreuen oder ärgern lassen. Ich auch. Nur: was soll man schreiben, wenn es einem gut geht und man nicht wild unterwegs ist, sondern brav zu Hause? Wenn man nix erlebt? Ich bin so unfassbar zufrieden gerade und es hat nichts mit einem Kerl zu tun. Einfach zufrieden. Ich gehe sehr viel arbeiten und freue mich daran. Ich fahre mit dem Fahrrad durch den Berliner Regen, und freue mich daran. Ich nehme ab und erfreue mich sehr daran. Ich sitze Abends zu Hause, lese viele Bücher (Elias Canetti, der obligatorische Murakami, Christoph Ransmayr) und freue mich daran. Ich liege am Wochenende im Park, trinke zwischendurch zwei, drei Bier und hab sehr viel Spaß daran mir keine Menschen an zu sehen, sondern einfach vor mich hin zu starren, oder die Augen zu schließen. Ich lebe in einer netten, warmen, kleinen Luftblase und lächle sanft und leise. Das ist sehr schön.
Das macht aber nicht kreativ. Eher im Gegenteil. Es macht einen dumpf und langsam und ich hab zwischendrin auch mal die Stadtwerke Berlin in Verdacht gehabt, dass sie Valium ins Wasser geschüttet haben, auf staatliche Anordnung, damit wir uns alle nicht mehr so aufregen und dumpf sind. Ich bin so dumpf im Kopf, dass ich sogar bei der Vorabendserie "Friends" lachen muss und mir Dinge wie "Gar nicht schlecht, die Werbung" durch den Kopf gehen. Ich erschrecke mich dann für einen Moment sehr, aber sobald ich wieder einen Schluck von meinem heißen Wasser trinke, geht’s wieder. Achja, ich trinke jetzt sehr viel heißes Wasser, da ich las, dass es gesund macht und man nicht mehr soviel ißt. Jetzt sagen manche Menschen sicher, "Klar, heißes Wasser trinke ich auch. Tee halt!" aber da antworte ich "Ihr Narren, der böse Tee macht das liebevoll gefilterte Wasser doch ganz schmutzig. Roh und pur müsst ihr das heiße Wasser trinken." Und solange ich in diesem Zustand schwebe kann ich nichts schreiben. Ich hab’s ja versucht, aber es kommt nur Müll raus. Leichter, langweiliger, katastrophaler, unpointierter, doofer, seichter Müll. Und ich hasse es, wenn ich seichten Schrott schreibe, wenn ich schwadroniere über das Leben, die Gefühle, die Schönheit und die Blumen, die Ruhe. Es ist langweilig, weil es so hübsch unreflektiert ist. Was ja auch Sinn der Sache ist. Wenn gerade vom Glück geküsst wird und dann meint schreiben zu müssen, kommt nichts rechtes bei rum. Oder kennt jemand einen Roman, in dem es von der ersten bis zur letzten Seite um einen konfliktfreien Glückszustand geht? Und wer schreibt wohl die besseren Gedichte? Verdrogte, halbtote, unglücklich verliebte, betrunkene Poeten oder glückliche Dichter?
Deswegen lasse ich das Schreiben gerade mal ein wenig weg. Es tut auch gar nicht so weh, wie ich dachte. Ich hab ja vor einem Jahr auch nur selten geschrieben und nicht so regelmäßig wie in den letzten Monaten. Aber auf der anderen Seite merke ich auch, dass es ein wenig kribbelt in den Fingerspitzen, dass der Strom hier und da langsam wieder durch meinen Körper kriecht. Mal sehen. Aber vielleicht schreib ich die Tage auch die schönsten Rezepte mit heißem Wasser auf.

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