Die Wochenende, an denen sich die Seele auf links zieht werden auch immer häufiger. Während man die Zeitungen in der Wohnung wie eine Brotkrumenspur auslegt, versucht man bewaffnet mit Roibush-Tee, Murakami und der Fernbedieung der Langweile Paroli zu bieten. Zwischendrin ertappt man sich dabei, mit der Stirn gegen ein Fenster gelehnt den Schnürregen einzufädeln, damit wenigstens er in Ordnung ist. Die Kälte kriecht vom Fenster über Stirn hinein in den Kopf, nur um enttäuscht festzustellen, dass es da drin noch kälter ist.
Gelangweilter Griff ziwschen Beine Sonntag Nachmittag um kurz vor vier, während irgendein Skispringer durch den Wald segelt und auf einem langen, weißen Bettlaken einen Knicks macht. Zwischen den Beinen ist nichts und man greift ins Leere. Keine Wärme strömt, kein von Nadeln getriebenes Ansinnen quält sich heraus. Die Hand ruht im Nichts. Vielleicht doch schon was trinken? Die Decke bis zum Kinn, eine Hand zwischen den Beinen eingeklemmt verliert sich der Blick.
Der eigene Kosmos ist implodiert. Keine Ablenkung ausser der Ablenkung, dass die Dinge eine böse durch die Gegend schubsen. Dass man selber gar nicht wirklich lenken kann, nur abwarten, dass man wieder etwas erkennt und fröhlich sagen kann: "Das ist ja hübsch". Ich muss lachen, als ich denke "Mein inneres Konzentrationslager". Mein politisch korrektes Gewissen tadelt mich sofort für den Gedanken. Ich beschließe meinem politisch korrekten Gewissen eins auszuwischen, in dem ich weiter kichere. Vielleicht mal die Wohnung umräumen? Das Sofa von hier nach dort, das Bett mehr ans Fenster. Warum steht das Bett überhaupt so weit weg vom Licht?
Achja, keine Vorhänge. Innenhof. Die achtköpfige Familie aus Taiwan, die von ihrer Küche aus mir direkt ins Schlafzimmerfenster schauen kann, wird sicher nicht erfreut sein, wenn sie mir während ihres dritten Abendessens beim Vögeln zusehen kann. Die Nachbarn haben im Sommer eh immer mit einer Mischung aus Neugier und Abscheu geschaut, wenn ich vergessen hatte das Fenster vorm Sex zu zu machen. Was ich eigentlich immer vergessen habe. Wenn man angetrunken Samstagsmorgens um 2.00 Uhr nach Hause kommt, hat man andere Dinge im Sinn. Komischerweise fällt einem dann immer mittendrin auf, dass ja das blöde Fenster sperrangelweit aufsteht und man gerade dabei ist eine akustische Liveshow abzuliefern, aber dann ist man auch zu faul und zu beschäftigt um aufzustehen.
Ich hatte man eine Affäre mit jemanden, der mir, wenn ich ihm zu laut wurde, den Mund zugehalten hat. Beim ersten Mal bin ich erschrocken zumal ich keine Luft bekommen habe. Koksnase. Ich hab seine Hand weggeschlagen und ihn böse angeschaut. Er hat sich entschuldigt. Er könne es nicht ertragen, wenn es zu laut würde. Es würde ihn ablenken, aus dem Rhythmus bringen. Also liebten wir uns leise. Wie zwei Teenies unter der Decke, unterdrückt keuchend, schwitzend, die Lippen aufeinander gepresst, nur beim Küssen ein leises Stöhnen. Schwer für jemanden wie mich, die eigentlich nie darüber nach gedacht hat, ob und was für Geräusche sie macht. Es war ein verbissener, taubstummer Kampf zweier Menschen, die sich dabei in die Augen starrten, die mit dem Becken versuchten dem andern die Luft aus den Lungen zu pressen, die darauf warteten, dass der andere endlich in einem Geräusch explodierte. Aber immer wenn ich nahe dran war zu verlieren, legte er mir seine Hand auf den Mund und ich wehrte mich nicht mehr, sondern schloß die Augen und hielt den Atem an, während er sich schneller in mir bewegte. In manchen Momenten konnte ich vergessen, dass da eine Hand auf meinen Mund lag, und ich atmete mit irgendwas anderem. Mit der Haut, mit der Vagina, mit den Händen. Bis mir der Kopf zu platzen drohte, die Wangen sich nach innen stülpten, er die Hand wegnahm und die Luft in einer leisen Explosion wieder nach in die Lungen strömte. Klare, kalte Luft die meinen Brustkorb füllte, alles wieder weich machte und meine Finger dazu bewegten in die Haut des anderen zu wollen. Sich darunter zu schieben, wie unter eine weiche Decke.
Fern, das alles. Die Romantik des Alleinseins ist auch dahin. Keine tickende Uhr mehr, die anzeigte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis man sich getrost in den Schlaf langweilen konnte. Nur noch digitale Anzeigen und leise zischende Wecker. Uhren, die sich nicht mehr bewegen, sondern nur noch still die Anzeige wechseln. Keine Sorge, die "5" kommt gleich wieder. Und weil die Zahlen immer wieder kommen, und weil die Uhr die Zeit nur rechnet, vergeht die Zeit auch nicht. Sie ist nur ein paar Leuchtbalken, die nicht zittern, die nichts machen, außer an und aus zu gehen. Nichts passiert, nur die Balken wechseln. Alles nur noch perfekt. Perfekte Zeit, perfekte Ruhe. Morgen kaufe ich einen alten Wecker. Und ich werde darauf achten, dass er laut tickt, damit die Zeit nicht mehr verloren geht, sondern im Gedächtnis meines Gehörs bleibt. Damit ich mich daran erinnere, dass ich gar nicht so viel davon habe.
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