belledejour
 

 
Freitag, 26. Dezember 2003
Weihnachten galore

Ohja, Weihnachten bei meinen Eltern. Ich mag sie sehr, aber man muss ja nicht immer gleich die ganze Dosis Liebe abrufen. Deswegen beschränkt sich die Dauer meines Aufenthaltes zu meist auf wenige Tage. Höchstens vier. Nach vier Tage fühle ich eine leichte Anspannung in mir wachsen, so eine Verhärtung unter der Bauchdecke, die Kiefermuskeln werden auch hart während die Schulter langsam aber sicher nach oben wandern. Vier Tage mit meiner Mutter zu frühstücken hat allerdings bisher auch noch jeden umgebracht. Was weniger an ihrem Frühstück liegt, sondern an ihrer phänomenalen Eigenschaft morgens in jedem Zustand wie ein Wasserfall reden zu können. Dabei stört es sie auch in keinster Weise, wenn man die Zeitung weit ausgeklappt vors Gesicht hält und sich quasi dahinter versteckt. Sie redet einfach durch die Zeitung durch, weil sie genau weiß, dass man sich bei dem lauten und enervierenden Geplapper sowieso nicht aufs Lesen konzentrieren kann. Das ist schlimm - besonders, wenn man wie ich morgens eher zu den Menschen gehört, bei denenlautes und unablässiges Reden eine Reihe von imaginären Bildern auslöst, bei denen es um scharfe Messer, sehr viel Blut und evtl. um eine Axt die in einem Kopf steckt geht. Verschärft wird die Situation dann, wenn man am Vorabend mit alten Freunden versackt ist, man ungefähr 4 Stunden geschlafen hat, sich noch genügend Wodka in der Blutbahn für ein zweites Besäufnis befindet und zu dem langsam aber sicher die Erinnerung hochkommt, dass man sich von jemanden hat nach Hause fahren lassen, den man fünf Stunden vorher noch nicht gekannte, man aber ihm trotzdem (oder deswegen) im Auto noch einen runtergeholt hat während er vergeblich versuchte sich bei mir zu revanchieren. Und wenn dann die eigene Mutter den unschönen Erinnerungstrom damit toppt, dass sie Geschichten aus der Nachbarschaft erzählt UND eine Antwort erwartet, kann es zu unschönen Szenen kommen. Mein Vater hat sich das Frühstücken wohl deswegen abgewöhnt und verzieht sich mit einem Kaffee immer in sein Büro.

Diese Art meiner Mutter bringt mich jedenfalls verlässlich auf die Palme. Sie weiß das, ich weiß das. Sie macht es trotzdem. Vielleicht auch noch als Rache für die Weihnachtsfeste, die ich früher mit schöner Regelmäßigkeit versaut habe. Es gab da mal so eine Zeit, kurz nachdem ich endlich ausgezogen war, wo die Konflikte zwischen mir und meiner Mutter an den Feiertagen eskalierten. Gerne bin am 23.12. Abends noch weg gegangen, habe mir einen schönen, gut gebauten jungen Herrn gegriffen, in die elterlichen Zimmerfluchten geschleppt und angelehnter Zimmertür besonders laut gevögelt. Auch gerne schon mal in der Diele oder auf der Treppe. Der Sex war mir wurscht. Wichtig war mir, dass meine Mutter es hören konnte. Dabei interessierte sie es schon lange nicht mehr, ob und mit wem ich rumvögelte. Was sie wirklich ärgerte war die Tatsache, dass am nächsten Morgen mit Sicherheit ein ihr unbekannter Mensch im Haus sein würde, den sie am Frühstückstisch ertragen musste. In solchen Momenten war sie morgens nämlich ruhig. War ja ein Fremder da.

Aber man wird ja weiser. Oder älter. Oder beides. Und dieses Jahr habe ich mir das alles verkniffen. Ich bin brav gewesen. Habe meinen Vater geholfen den Weihnachtsbaum am 23.12. Abends zu schmücken, anstatt in dubiosen Kneipen zu trinken. Ich hab meiner Mutter geholfen den Rehbraten perfekt werden zu lassen, hab die Hunde durch den Garten gejagt, hab es mir verkniffen sie an zu schnauzen, wenn sie morgens auf mein müdes Hirn eingeredet hat. Ich war ein braves Lamm. Eine gute Tochter. Ich hab sogar nicht meinen kurzen Rock angezogen, sondern was langweiliges blaues. Ich hab mich artig über was noch langweiligeres in dunkelrot gefreut. Ich hab meine Eltern am 24.12. gezwungen mit mir Wodka zu trinken. Solange, bis beide betrunken waren, und meine Mutter heute morgen zum ersten Mal seit Jahren still war. Was daran lag, dass sie mit einem Schädel im Bett lag und jammerte. Ich hab dann beschwingt meine Sachen gepackt und bin nun wieder in Berlin. Und jetzt muss ich ganz schnell und ganz dringend raus. Frohes Fest noch.

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