belledejour
 

 
Mittwoch, 17. März 2004

Eben einen Fehler gemacht. Für 15 Euro mich bei Premiere für einen Monat bei "Big Brother" freischalten lassen. Nach einer Stunde war mein Kortisolwert explodiert. Das hält ja kein Mensch aus. Warum, schoss es mir durch den Kopf, gehen die Selbstmordattentäter nicht dahin wo es weh tut und bereiten dem ein Ende? Allah'u akbar und gut ist? Das ist ungerecht.

Habe ich natürlich nur kurz gedacht. Wie so oft schaffe ich es noch, dass derartige Phantasien nur recht kurz in meinem Kopf herum spuken. Die Visionen aus Blut, Hass und einer daraus resultierenden innerlichen Befriedigung währen nur wenige Augenblicke, helfen aber paradoxerweise dabei nicht durch zu drehen (Straßenverkehr!). Ich halte mich trotzdem für einen normalen Menschen. Das tue ich, seit dem ich "American Psycho" gelesen habe und mir eine Freundin verraten hat, dass sie ihrer tyrannische Nachbarin gerne gedanklich den Hals aufschneidet. So was denke ich nicht. Meine Phantasien bewegen sich eher im Rahmen von großen Explosionen. Die Leute sind danach einfach verschwunden und nur eine kleine Blutspur erinnert mich an meinen Triumph. Ich hab mich also unter Kontrolle. Wie lange ich das allerdings noch schaffe, weiß ich nicht.

Jedenfalls sind die Chancen nach dem Urlaub deutlich gestiegen. Vor dem Urlaub war ich eine Art Courtney Love auf Speed. Ich hatte jeden Tag einen "Bad Hair Day" meine Finger zitterten morgens so sehr, dass ich die Wimperntusche auch gleich bröckchenweise hätte aufwerfen können und im übrigen war ich zu fett, zu doof und hatte nichts erreicht im Leben. Annäherungsversuche wurden entweder panisch und heulend abgewiesen. Nach 10 Tagen All-Inclusive bin ich fett, aber glücklich und habe gelernt, dass man mit Creme de Cassis ganz formidable Cocktails shaken kann. Auch gut: Tiefgefrorene Blaubeeren nehmen, in einen Mixer, ordentlich Wodka oben drauf, mixen, trinken.

Erstaunlicherweise hatte ich trotz der netten Barmannschaft keinen Ausraster im Urlaub. Nur einmal habe ich mit einem englischen Geschäftsmann geknutscht. Mehr nicht. Was daran gelegen haben dürfte, das englische Männer einfach nicht küssen können. Ich weiß nicht, womit die Engländer ihre Jugend verbringen, aber sie verbringen sie auf gar keinen Fall mit knutschen. Ok, ich hab jetzt noch keinen repräsentativen Querschnitt geküsst. Aber die drei Engländer mit denen ich es tat, knutschten alle so, wie Prinz Charles aussieht. Plötzlich hat man einen langen pelzigen Lappen im Mund, der nach Bier und Marlboro schmeckt, während eine Hand sich automatisch auf Hintern oder Brust legt. Schwapp - papp. Eine Bewegung. Ein Horror. So auch diesmal. Mister Namenhabichvergessen parlierte weltmännisch über das teure London, rückte so nah, dass ich die geplatzten Äderchen in seinem rechten Auge zählen konnte, während ich verzweifelt versuchte die Blaubeerkerne aus meinen Zahnzwischenräumen mit der Zunge zu entfernen, weil ich schon ahnte, dass da gleich was kommen würde. Ich mochte seine Stimme. Ein wenig Richard Burton klang daraus, jedenfalls brummelte er ein glockenreines Oxford, was mich automatisch einen Tick weicher in den Knien werden lässt. Warum nicht, dachte ich. Und gleich hinterher: Der hat bestimmt keine Blaubeerkerne zwischen Zähnen, soweit wie die auseinander stehen (Danke für die Spange, Mama). Und dann: Schwapp - Papp (Hintern). Nach ungefähr zwei Sekunden hatte ich das Gefühl einen alten Wollteppich im Mund zu haben. So kommen wir nicht weiter, dachte ich, und beendete das Ganze schneller als es angefangen hatte. Gottseidank war er am nächsten Tag mit der Poolputzfrau beschäftigt, die er zwei Tage später und bis zum Ende seines Urlaubs in dem winzigen grünen Poolhäuschen hinterm Hotel vögelte.

Meine Zurückhaltung hatte nicht nur was mit der äußerst bescheidenen Auswahl an Männern zu tun, sondern auch mit der Gewohnheit, keinen Urlaubsflirt zu haben. Mit großem Entsetzen stelle ich immer wieder fest, dass selbst gute Freundinnen in südlichen Gefilden eine Art spätpubertären Hormonschub bekommen. Noch Wochen später berichten sie ernsthaft über den schnuckeligen Fremdenführer/Barmann/Kellner/Pooljungen/Taxifahrer. Diese rauhen Hände. Diese tiefschwarzen Augen, in denen sich die Sterne gespiegelt haben. Und erst die Komplimente! Und dann sitzen sie wirklich nachts um zwei am Telefon und versuchen über das einzige Telefon am Ort Achmed/Jose/Juan zu erreichen und tauschen drei Tage alte Erinnerungen aus. Am nächsten Tag nagen sie an ihrer Unterlippe, klicken aufgeregt zwischen Last-Minute Flügen rum und überlegen, welche Krankheit sie haben könnten, um schnell noch mal zurück zu fliegen. Dass läuft zwei oder drei Wochen so weiter. Irgendwann will er Geld, und dann geht’s wieder. Ich hatte in meinem Leben nur einen einzigen Urlaubsflirt, und mit dem hab ich gleich alle Klischees so weit abgearbeitet, dass das für mindestens ein Leben reicht. Ich sag nur Italien, der Rest ist mir zu peinlich.

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