Dass zunächst lustigste an dem Abend war noch, dass meine blöde Lederhose zu weit war. Sonst war sie zu eng und bei engen Lederhosen kann man entweder einen Slip anziehen und beten, dass der nicht verrutscht, weil man sonst anfängt sehr unwürdige Verrenkungen zu machen, bis man genervt aufgibt, sich in Schlange vor dem Klo einreiht um dann den Slip entweder wegzuwerfen oder ihn um die drei Millimeter zu verschieben, die er nervt. Man kann ihn aber weglassen und dann hoffen, dass die Borde zwischen den Beinen beim Tanzen keinen Wolf auf die Schamlippen zaubern. Ich muss aber gerade viel arbeiten und dann esse ich wenig, da bin ich ein ganzes Mädchenklischee, aber ich nehm auch ab, dieses mal so zwei Kilo, gefühlt und leicht geschummelt auf der Waage auch drei. Jedenfalls schlackerte die Hose. Am Bund, am Hintern. Wenigstens keinen Wolf heute Abend. Dafür Jüngelchen in weiten Hosen und ganz engen, ärmellosen T-Shirts, möglichst mit einem 70er Aufdruck vorne drauf. Creme 21 oder Sunkist. Ich hasse K. schon jetzt dafür, dass sie mich hier hin geschleppt hat. "Das wird ja wieder sinnlos" denke ich und dann "Ach was, ich geh einfach". Also gehe ich, lasse K. alleine, die sowieso eines der Jüngelchen aufreißen wird. Ihm die Brust verkratzen. Das macht sie gerne. Sie fängt an den Schlüsselbeinen an und zieht dann langsam runter, dann noch mal kreuzweise, bis ein buntes Muster, ein Wirrwarr von Kreuzungen entsteht, und am Ende sieht es aus, als hätte ein irrer Architekt fünf Autobahnkreuzungen übereinander gelegt. Am nächsten Morgen muss sie sich dann die Hautstückchen unter den langen Fingernägeln rauspulen und schnippt sie ins Waschbecken.
Wieder zu Hause ist auch doof. Angebrochene Abende sind schrecklich, weil man mitten im Film rausgeworfen wird. Dann beschäftigt sich das Hirn noch lange damit, ob weggehen wirklich die bessere Alternative war. Aber da war ja noch diese andere Einladung auf der ich eine halbe Stunde später bin. Irgendwo zwischen Prenzlauer Berg und dem bösen Osten. Marzahn. Was weiß ich. Der Taxifahrer schaute komisch, als ich ihm die Adresse nannte und noch komischer, als ich mitten zwischen alten, dreistöckigen Industriebrachen ausstieg und zielgerichtet ins dunkel lief. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war und ob ich überhaupt richtig war. Erst als ich es leise wummern hörte, fühlte ich mich etwas sicherer, als mir die ersten Gestalten in engen Lackklamotten entgegen rauschten, wurde es warm. Drinnen ein Inferno aus Musik, Rauch, Schweiß, Alkohol und tatsächlich auch diesem leicht säuerlichen Geruch von Sperma. Gut, ich wusste, dass eine private Party war, auch dass es eine Fetischgeschichte war, aber dass im Eingang ein Schwuler einem anderen einen Rimjob verpasste, war dann doch ein etwas ungewohnter Empfang. Und weiter drinnen sah es nicht besser aus. Immerhin waren noch ein paar Leute ebenso angezogen wie ich und redeten miteinander. Dann Auftritt B. der die Party organisierte. Schatz hier, Küsschen da, klasse Stimmung, komm mit nach oben, ein Stockwerk höher, da ist es besser. Bezweifele ich, aber gut. Oben ist es erst mal dunkel, dunkel, dunkel. Aber leiser. Es plärrt tatsächlich etwas Ambient in mein Ohr und B. kennt mich und ich habe schnell einen Wodka vor der Nase. Dann ein wenig Smalltalk, dann noch einen Wodka und die Ansage, dass ich nur jeden zweiten zahlen muss, viel Spaß.
Ich kenne niemanden und sehne mich für einen Moment nach meinem Bett und der Premiere Fernbedienung. Dann treffe ich S., die unglaublich blond und dünn ist und die schlimmste Mädchenlache hat, die man hören kann. Sie kichert wie eine sechszehnjährige, ganz weit oben auf der Tonleiter und immer ein bisschen verschämt. Das ist keine Masche, dass ist echt. Leider. Eine Masche sind ihre billigen Rüschenblusen, die sie immer bis ganz noch oben zuknöpft und sich im Notfall einfach vom Leib reißt. Woolworth. Fünfzehn Euro. Sagt sie immer, und freut sich diebisch über den Effekt im Notfall. Sie ist außerdem die mir einzig bekannte Frau, die sich beim Rasieren den Damm so tief eingeschnitten hat, dass sie eine Woche die Beine nicht auseinander bekam. Nebenbei: Soviel zum Thema, was sich Frauen so gegenseitig erzählen. S. ist schon sehr gut drauf. Sie plappert ohne Ende, ich hab Mühe zu folgen, plapper aber genauso viel zurück. Nebenbei: Soviel zum Thema, wie sich Frauen auf Partys unterhalten. Man muss ja nicht alles verstehen, was die andere so erzählt. Jedenfalls zerrt sie mich in einen anderen Raum, in dem es noch dunkler und lauter ist. Das einzige Licht kommt aus einem rund zwei Meter breiten Loch aus dem Boden, und somit aus dem drunter liegendem Stockwerk, wo die eigentliche Party steigt. Über das Loch hat man ein Absperrgitter gelegt und wenn man runterschaut, dann schaut man genau auf die Liegewiese und kann anderen dabei zusehen, wie sie nix machen. Oder alles. Um das Loch stehen Sofas, auf dem Menschen rumliegen. Jedenfalls kann ich Haut sehen. Die Musik schallt ungedämpft nach oben, aber komischerweise kann man doch hier und da leises Stöhnen hören und ich frage mich, in was für einer Art Nebenhölle ich denn nun schon wieder gelandet bin. Das rimjobbende Paar am Eingang war ja eine Sache, aber das hier oben sah doch schwer nach Fummelgruppe aus.
Das sind alles keine Begegnungen, denke ich mir, und weiß sofort was mir fehlt. Eine Begegnung. Von mir aus ein stummes sich betrinken, ein gegenseitiges Anstarren, ein Lauern, aber nichts machen. Ein Wissen, dass man noch ficken wird, ein Spüren, dass man die Haut des anderen schmecken wird, das der Punkt kommen wird, an dem man sich zwischen die Beine greift, an dem man zum ersten Mal die Erektion in der Hand spürt, aber es jetzt eben noch nicht macht, weil man seine Kräfte misst und weil das Kräfte messen so viel spannender ist, als der nachfolgende Griff. Hier ist alles nur ein Greifen. Ein sinnentleertes, blindes Greifen nach der eigenen Befriedigung, niemals nach der Befriedigung der anderen. Ich bin dennoch überrascht, als der Schatten neben mir auf dem Sofa, eine Hand auf meine Schulter legt und ich, als ich die Hand greife um sie weg zu packen, die Finger einer Frau spüre. Ich lass die Hand da und beuge mich ein wenig nach vorne um mal runter durch das Loch zu sehen, was sich da so tut, aber was soll sich da unten schon tun, da befriedigen sich die Finger selber, plus ein Knäuel aus Schwulen.
Die Hand spielt mit meinen Haaren, ein Finger fährt meine Wirbelsäule runter und kommt in der textilfreien Zone an, fährt um meine Nieren, schiebt sich unter das Shirt, aber nur kurz, fährt wieder hoch, in meinen Nacken, dann zu meinem Hals, dann wieder runter und von vorne. Das macht sie bestimmt zwanzig Minuten. Immer runter, rum, rauf, rum, runter. Sie macht das nicht ungeschickt, besonders, wenn sie in meinen Nacken hochfährt, unter meinen Haaren entlang, bis sie im Dickicht hängen bleibt, die Finger vorsichtig wieder rauszieht um dann mit ihren Fingernägeln an der Seite meines Halses entlang zu fahren. Jetzt müsste ich mich so langsam an sie wenden, aber das macht sie, mit einer kleinen Bewegung ist sie plötzlich bei mir, dreht meinen Kopf und küsst mich. Dann legt sie den Kopf in den Nacken und lacht, packt mein Gesicht mit beiden Händen, hält es vor das ihrige, lässt mich los, legt den Kopf schief und ihre Augen blitzen. Ich nehm mir meinen Kopf zurück und schaue wieder nach unten.
Sie heißt ernsthaft Cindy. Cindy aus Pritzwalk. Und Cindy aus Pritzwalk ist 28 und nicht alleine da. Ihr Freund lungert in den Ecken und packt ab und an seinen Schwanz aus, wenn er irgendwen ficken sieht. Cindys Freund ist groß, hat die übliche Ost-Rasiert-Topffrisur und wahrscheinlich physiologisch die besten Gene, die man sich wünschen kann. Zu dem macht es ihn geil, wenn er seiner Freundin dabei zu sehen kann, wie sie mit einer anderen Frau rumknutscht. Für einen Moment fühle ich einerseits ein mich wenig verarscht, anderseits ein wenig benutzt, aber dann stelle ich fest, dass Cindy sehr patent ist und wir mit ihrem Freund jemanden haben, der freiwillig und ohne Murren auf eigene Rechnung den Wodka holt. Irgendwann wirft sie auch ihre Beine über meine, irgendwann greift sie mir beim Knutschen an die Brust, irgendwann auch mal zwischen die Beine, aber eigentlich sind das nur Intermezzi, kurze Pausen zwischen unseren Gespräch, dass mehr als angenehm ist. Wenn wir zwischendrin knutschen, dann stürmt sofort der Freund in die Nähe, greift sich oder seiner Freundin irgendwo hin, und am Anfang hab ich ein wenig Angst davor, dass er auch mich anfasst, aber Cindy beruhigt mich, sagt, dass er einfach nur sehen will, wie sie angefixt wird, und ansonsten sei er eh devot und zum Beweis löst sie ihren Griff von mir, schaut ihren Freund an und bellt ihn an, er möge Kippen holen. Freund steht auf und verschwindet. Wir reden bis wieder Licht durch die halbblinden Fenster fällt und dieses graue, regnerische Morgenlicht die Unschuld weg nimmt. Irgendwann stehe ich dann mal auf, merke, dass ich nicht mehr wirklich nüchtern bin, geh aufs Klo, mitten durch die windende Menge. Als zurück komme liegen Cindy und Anhang auf dem Sofa in dem fast leeren Raum und sind sehr beschäftigt. Ich will wieder gehen, aber Cindy sagt nur: "Setzt dich hier hin" und ich setze mich erst neben das Sofa und dann knie ich daneben und ich knutsche mit ihr, während ihr Freund seinen Kopf zwischen ihre Beine legt. Sie quietscht ein wenig, dann atmet sie tief. Ich hab meinen Kopf einfach neben ihren gelegt. Sie hält ihn umklammert, drückt meine Wange an die ihre und kommt. Ich hab ein wenig Angst, dass er nun auch kommen will, aber mit einer widerlichen Bewegung wischt er sich nur den Mund ab, steht auf und macht sich die Hose zu.
Dass komischste an nach solchen Nächten ist der Moment, wenn man wieder ins Taxi steigt. Man plumpst in die Polster und so auch wieder in die Realität. Da läuft RTL 104,6 und während man mühsam seine Seele wieder zusammen puzzelt, während man das Stöhnen in den Ohren hat, muss man profane Dinge wie seine Adresse sagen. Und dann fährt das Taxi los, ins Graue hinein und man hat das Gefühl, dass der besondere Moment hinter einem bleibt, dass er nicht mithalten kann mit der Geschwindigkeit mit der man sich bewegt und man in etwas leeres hinein fährt.
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