belledejour
 

 
Samstag, 24. April 2004

Neulich alle Vorsätze wieder über Bord geworfen. Vielleicht ist das der Sinn von Vorsätzen. Das man sie wieder los wird und sich beim nächsten Mal sagen kann: "Aber jetzt" oder, während man gerade dabei ist, sie zu vernichten: "Morgen" oder "Beim nächsten Mal." Ich fühle mich immer etwas verschlampt, wenn ich meine Vorsätze ad acta lege. Böses Mädchen. Kann ich kichern, wenn ich betrunken bin. Schlampe, wenn ich wieder wach werde. Aber, hey, ich will nur meine Shareholder Value vom Leben. Die Dividende, möglichst noch vor dem Ende des Jahres, denn wer weiß, ob man dann noch lebt.

So wie P. Eine der Größten, die ich jemals kennen gelernt habe. Er hat alles, aber wirklich auch alles in seinem Leben nur gemacht, damit er ficken konnte. Er war das wandelnde Lifestyle Magazin, schneller als jede bunte Journalistenbraut, mit Gänseblümchenhaarspangen auf dem Kopf. Er war einer dieser "early adopters" einer, der immer schneller da war, wenn andere noch nicht mal wussten, dass sie dort in ein paar Monaten sein wollen. Und das alles nur für Sex. Schnöder Sex. Die kleinen, dünnen Mädchen haben ihn angehimmelt und manchmal auch die Jungs, und wenn er gut drauf war, dann war ihm das egal und verschwand augenzwinkernd mit einem Bübchen oder einem bauchgepiercdem Mädchen, deren Brüste stramm unter dem "88" T-Shirt hervorstanden. Dann ist er Auto gefahren und gegen einen Baum oder eine Mauer, ich weiß das nicht mehr. Jedenfalls war er mausetot und bei seiner Beerdigung war keiner der Bübchen oder der Mädchen. (Wahrscheinlich weil Schwarz gerade out ist und man nicht weiß, was man sonst so anziehen soll). Ich war ja auch nicht da. Warum auch. Was soll man einen Mann zu Grabe tragen, der das Leben durch 100 Euroscheine gezogen hat. Ist auch schon was her.
Aber beneidet hab ich ihn immer um seine Leichtigkeit mit dem Leben und dem Ficken umzugehen. Keine Reue, keine Scham, nur Lust an diesem Leben ohne sich selbst dem Untergang entgegen zusaufen. Wenn er gut drauf war und ein kurzer Rock in seiner Nähe.... man konnte sich da gar nicht wehren. Erst redete man, dann hatte man eine Hand auf dem Bein, dann zwischen den Beinen und man dachte gar nicht "Hups" sondern nur "Ach" und ließ es geschehen. Am nächsten Morgen hatte man Kaffee am Bett und er war weg. Aufwachen war nicht sein Ding.

Was wahrscheinlich der große Unterscheid zwischen mir und P. ist. Ich kann alles, so lange ich nicht aufwachen muss. Ich kann die dollsten Sachen machen, ich kann mir oder jemanden anderen die Seele aus dem Leib ficken, aber ich darf nicht aufwachen. Wenn ich wieder aufwache, dann bricht das kleine Mädchen in mir durch, und ich sage "Weia" und "Ihhh" und "Scheiße". Dann durchzucken mich die Erinnerungen der Nacht wie heiße Blitze und manches ist mir ein wenig peinlich, besonders dann, wenn die Fenster weit offen waren, und der Hinterhof mal wieder mithören konnte, was zumindest ein Wichser genießt, den ich mal beobachtet habe, als irgendjemand anders im Haus vögelte und er im vermeintlich dunklen am offenen Fenster stand und sich einen runterholte. Dabei macht er sonst einen ganz zufriedenen Eindruck, hat allerdings die "Welt" abonniert.

Das hilft mir morgens aber auch nicht weiter, wenn ich in der Nacht vorher gedacht habe, dass ich genau DAS jetzt brauche. Schöne Rauschzustände, ohne nachdenken, nur die Lust, die Stromschläge durch den Körper sendet, die die Augen weit aufreißen lässt und Finger Sachen tun lässt, und die Muskeln verspannt, und das Blut nach unten drängt. Dann packt man gerne ganz weit nach hinten in die Bewusstseinskiste und greift nach den Dingen, die einem die Gier befiehlt. Wenn man dann am nächsten Morgen die verstreuten Hilfsmittel neben dem Bett (besser immer noch an sich drapiert) sieht, wenn man den Schmutz der letzten Nacht noch in der Luft schmecken kann, dann ist das immer ein wenig komisch, und wenn man den Kerl neben sich nicht kennt, dann ist das sogar schlimm. Wenn ich einen Kerl habe, den ich seit einem halben Jahr kenne, dann darf er auch mal an mir probieren, Sachen machen. Ich sag dann immer: "Ja, geil, mach weiter" weil ich sehen will, wie weit er geht, ob er meine Grenzen tangiert und ob er das macht um meine Grenzen auszuloten, oder nur um seine auszufüllen. Aber wenn ich den Kerl nicht kenne, dann ist das was anderes. Dann fühl ich mich benutzt, selbst wenn ich das alles in dem Moment geil fand, aber ich denke „Du Sau, man muss doch nicht gleich das volle Programm in der ersten Nach fahren, soviel Anstand muss schon sein“ und gleich hinter her denke ich " Na, Pulver verschossen, dass wird ja langweilig, das lass ich mal lieber“ Ja, dass ist paradox, aber es geht ja hier ums Leben und nicht um die AGBs des Öffentlichen Nahverkehrs.

Egal. Als mich das erste Mal einer von hinten vögeln wollte, hab ich nichts gesagt, nur gehofft das es gut sein würde, was es nicht war, aber ich war auch erst 18 oder 19. Als mich der erste an Bett gefesselt hat, hab ich gedacht: "Jau, mach mal" und ich war 20. Als mir der erste einen Schal um den Hals legte und zu zog, hatte ich keine Angst, nur Lust und ich konnte gar nicht genug bekommen, was ich am nächsten Morgen und etliche Tage danach bitter bereute, weil ich einen schönen blauen Strangulierungsfleck rund um meinen Hals hatte. Ich hab in den Momenten meiner Lust keine Angst, aber der Morgen danach ist schrecklich. Dann schnürt mich etwas ein und mein inneres kleines Mädchen kommt heraus und ist völlig verzweifelt über das, was ich da gemacht habe. Spiegelbilddetonationen, morgens im Bad. Ich kann mich kaum sehen, ich kann mich nicht fühlen, und für 12 Stunden schäme ich mich ein wenig, bis ich dann am folgenden Abend alleine im Bett liege, die letzte Nacht noch einem Revue passieren lasse und meine Hand oftmals auf Wanderschaft geht, ganz automatisch, was mich auch nicht immer wirklich glücklich macht.
Vielleicht brauch ich ja diese merkwürdige Dualität zwischen gelebter Perversion und gedachtem Klein-Mädchen-Image. Vielleicht ist das ja meine Triebfeder: die Spannung zwischen den Zuständen. Vermissen möchte sie jedenfalls nicht. Genauso wenig wie die letzte Nacht, die im "Würgeengel" anfing, mit einem Schwanz zwischen meine Brüsten und einer Hand zwischen meinen Beinen aufhörte und mich mal wieder das angelehnte Fenster vergessen ließ. Ist doch auch schön, wenn man auf diesem Weg noch jemanden glücklich macht, der einsam am Fenster steht.

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