Gestern das erste Blind Date meines Lebens gehabt. Ich weiß, so was gehört heutzutage zum allgemeinen Erlebnishorizont, aber es löst bei mir allergische Reaktionen aus, mich durch Tonnen von Anzeigen mit den Überschriften "Süßer Kuschelbär" oder "Ob Jeans oder Anzug" zu lesen. Da bricht die Klischeewelle ja gleich direkt über einem zusammen ohne dass man sich wehren kann. Zu dem berichteten Freundinnen von panischen Fluchtaktionen aus diversen Bistros. "Kann es eigentlich schlimmer noch kommen?," hab ich mich oft gefragt. Ein Blind Date mit einem Mann der "Barfuß oder Lackschuh" in seinem Text stehen hat, der mich laut Anzeige "mit allen Sinnen verwöhnen", und sich deswegen im Bistro "Boulevard Inn" mit mir treffen möchte. Die Assoziationen waren grauenhaft, die Glasvitrine mit den kleinen Porsche Modellen quasi schon in meiner Wohnung.
Das ich dann gestern Abend doch bei einem solchen Treffen gelandet bin, hat mit meiner Freundin A. zu tun, die offenbar nichts besseren zu tun hat, als ihren Bekanntenkreis zu verkuppeln. Mit Erfolg. Mittlerweile wird das Beziehungsgeflecht ihres wirklich großen Bekanntenkreis völlig unüberschaubar, und es wird hier und da fröhlich getauscht. Partys bei A. enden immer damit, dass mindestens zwei neue Paare finden. Zumindest für eine Nacht. Was wirklich dauerhaftes ist bei ihren Aktionen noch nicht rausgekommen. Aber geschickt ist sie. Sie heizt die Phantasie der zu verkuppelenden Personen erst wochenlang, bis sie beide weich gekocht hat. Und diesesmal war ich dran. Seit Monaten liegt sie mir mit P. in den Ohren, diesen jungen, netten, gutgebauten Menschen, der Kulissenbauer im Theater ist. Also die richtige Mischung zwischen "kennt sich Theater aus" und "kann zupacken". Wobei, wenn ich die Wahl habe zwischen "kennt sich im Theater aus" und "kann zupacken" würde ich immer die Variante "kann zupacken" wählen. Eindeutig. Was hilft mir detailliertes Wissen über Marthaler Inszenierungen, wenn der Typ dafür mit feuchten Händen über meine Brüste streichelt? Genau, nichts. Das mag jetzt gemein klingen. Und doof. Und typisch. Aber bitte, das geht einfach nicht. Ich kann es wirklich nicht leiden, wenn einer permanent in Zeitlupe über meine Haut streichelt. Das ist 9½ Wochen und Dirty Dancing und Ghost zusammen. Ich will nach dem Sex zwar auch nicht aussehen wie ein Insasse von Guantanamo Bay, aber wenn einer streicheln will - dafür gibt es einen Zoo. Ein Mann, der zufassen kann, der sich das vor allem auch traut, ist mir lieber.
Mein Blind Date gehörte leider nicht die Kategorie. P. ist nett, aber Künstler. Immerhin hatte einen netten Laden ausgesucht, wo man neben Sushi auch leckere Cocktails bekommen kann. (Eigentlich sind Cocktailkarten eine Verschwendung für mich. Ich trinke entweder einen Wodka-Martini oder, wenn mir nach süß ist, einen Hemingway. Sonst nix anderes. Ich hasse es zu dem mich erst durch einen halben Urwald von Obst schlagen zu müssen, wenn ich den Alkohol möchte. Wenn ich Obst essen will, dann bestell ich einen Obstsalat. Und dabei fällt mir ein, dass diese Vorstadttussen mich alleine schon dadurch auf die Palme bringen, dass sie mit einer dämlichen Arroganz und gespielten Selbstverständlichkeit diese Cocktails trinkenwährend sie Marlboro Light rauchen. Gerne, nach dem sie im Kino waren)
Also P. Erkennungszeichen: Stuckrad Barres "Theater". Hätte mich warnen müssen. Hat es auch, ehrlich gesagt. Als er dieses Erkennungszeichen nannte, war ich kurz davor das Date wieder abzusagen. Allein deswegen. Aber ich werde wohl altersmilde. P. gab sich wirklich Mühe, legte sich ins Zeug, war charmant, gewitzt und nett. Nur sprang da kein Funke, noch nicht mal der Lustfunke, über. Es war wie ein netter Kinofilm mit Julia Roberts. Kann man sich ansehen, aber sobald man aus dem Kino ist, hat man sofort wieder vergessen, um was es da eigentlich ging. Hab ich diese Sache jetzt also auch hinter mich gebracht. Ich glaube, Blind Date sind nichts für mich. Zuviel Brimborium vorher, zuviel abschätzende Blicke währenddessen. Man ist nicht wirklich frei und locker, so wie man das ist, wenn in eine Bar geht und einfach jemanden anspricht oder kennenlernt. Nicht meine Welt, das.
Wer also das label "Künstler" noch am Ärmel des vom Munde abgesparten Designer-Shirts trägt, hat de facto keinen Anflug von lovely art zu bieten...
"bizou-bizou" dit Michel
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warum regst du mich so auf, belle?
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