Das Weihnachtswochenende damit abzuschließen, dass man Samstags den Tag ignorierend auf dem Sofa ruht, und endlich all die Bücher liest, die sich in den letzten Monaten angesammelt haben, ist eine sehr gute Idee. Ab und zu stampft man in die Küche, füllt Tee nach, knabbert Kekse. Nicht im Traum denkt man daran das Haus zu verlassen, oder irgendetwas am Zustand der Haare nach dem Aufstehen zu verändern. Anziehen ist auch nicht, dafür hat man ja einen sehr warmen und weichen Bademantel der völlig ausreicht. Es kommt ja keiner vorbei. Man ist ja alleine, zumal der Lebensgefährte seine weit verstreute Familie abklappert.
Dieses Jahr habe ich darauf verzichtet ihn quer durch Deutschland zu begleiten. Wir hatten dieses Jahr schon oft genug Ärger, und den muss man an solchen Tagen nicht auch noch herausfordern. Der Lebensgefährte war trotzdem sauer, aber die Chance, dass ich ihn auf einem eisigen Autobahnparkplatz ausgesetzt hätte war so groß, dass ich es lieber nicht darauf ankommen lassen wollte. Zumal ich seine Familie auch nur in Teilen ertragen kann. Seine Mutter, eine aufgedonnerte Vorstadtqueen, der nicht eine Sekunde abgenommen habe, dass die Faltenlosigkeit ihrer Augenwinkel "in der Familie liegen" und sein Vater, der ein netter Brummbär ist und sich vor und während größerer Familienfeierlichkeiten mit einem Flachmann alleine in sein Gartenhäuschen zurück zieht, gehen ja noch. Gar nicht geht die, meiner Meinung nach, völlig debile Schwester, deren geistiger Horizont knapp vor ihren monströsen Fingernägeln aufhört und mich, wen wunderts, abgrundtief hasst. Dieser Hass mag etwas damit zu tun haben, dass ich mich in einem Streit mal hässlich über sie geäußert habe, und ihr das Zitat meiner Mutter an den Kopf warf, dass sie gerne benutzt, wenn ihr Menschen begegnen, deren intellektuellen Fähigkeiten auf dem Niveau einer Qualle sind, und über die sie dann gerne sagt: "Die ist aber bestimmt mit dem Taschentuch gefiltert worden". Womit sie implizieren möchte, dass die Erzeuger beim Zeugungsakt das Schlimmste mit einem dazwischen gelegten Taschentuch verhindern wollten, was aber nur dazu führte, dass dem dabei erschaffenen Kind etliche Chromosomen abhanden gekommen sind. Schöner kann man zwei Generationen auf einmal nicht beleidigen.
Alleine die Aussicht, diese Schwester nicht sehen zu müssen, inkl. der Erkenntnis, dass ich ja schon nicht mit meiner Familie klar komme, reichten mir dieses Jahr, auf das zweifelhafte Erlebnis zu verzichten. Bockig wie mein Lebensgefährte dann eben ist, verkündete er daraufhin, dass er Silvester dann auch auf mich verzichten könne, und überhaupt, weswegen ich jetzt nicht so richtig weiß, ob ich nun einen Lebensgefährten oder einen Ex-Lebensgefährten habe. Ich stelle mir die Frage aber auch nicht wirklich. Wir haben in den letzte acht Monaten soviel Porzellan zerdeppert, da ich nun am Ende des Jahres zu müde bin, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
Und heute schon gar nicht, denn mein beschaulicher Samstag endete abrupt und warf mich in eine Art Zwischenwelt. S., was eine, na sagen wir mal, nähere Freundin ist, hatte zusammen mit ihrem dauerkiffenden Freund T. am Samstag die spontane Idee mal bei mir reinzuschneien. S. und T. sind seit zwölf Jahren zusammen und aus Kroatien. Dass beide es geschafft haben sich in den letzten zwölf Jahren nicht gegenseitig umzubringen, führe ich auf ihre gegenseitige Verschwiegenheit und pures Glück zurück. Gut, einmal hat sie ihm eine Flasche auf dem Kopf zerschlagen, und er hat sich mit einer geprellten Rippe revanchiert, aber ansonsten machen sie dass, was Paare die zwölf Jahre zusammen sind, eben so machen. Sie betrügen sich nach Strich und Faden und vögeln, wenn sie betrunken sind, öffentlich rum. S. und T. stürmten also meine Wohnung, und nach einer Stunde und den ersten beiden Tequila, den die beiden mit gebracht hatten, fand ich es auch gar nicht mehr so schlimm. S. & T. hatten gerade drei Tage bei ihren Eltern verbracht, und waren, wie soll ich sagen, fickrig. Sie wollten auf die Piste, raus, saufen, Party, tanzen, schlimme Dinge machen. Möglichst alles gleichzeitig. Und tatsächlich: nach drei weiteren Tequila hatten sie mich so weit, und ich folgte ihnen ins KitKat. Was bedeutete, dass ich mich a) duschen und meine Haare waschen musste, b) die für die Jahreszeit nicht eben geeigneten Klamotten aus dem Schrank geholt werden wollten und c) ich zu diesem Zweck S. & T. sich selbst überlassen musste. Ein Eimer mit kaltem Wasser hätte die beiden, nach dem ich aus dem Bad kam, evtl. trennen können, ich beließ es aber dabei einen kleinen Anfall zu bekommen, weil ich es wirklich hasse, wenn jemand fremdes mein frisch bezogenes Bett mit Gerüchen beferkelt, die nicht von mir oder meinem Sexualpartner sind.
Aber irgendwie war ich immer noch im Weihnachts-Modus. In meinem Kopf sangen Ella Fitzgerald und Louis Armstrong Weihnachtslieder, mein Bauch wölbte sich leicht nach dem Verzehr von ca. 3 Kilo Spekulatius über die letzten Tage und meine Lust nach Entertainment bezog sich immer noch auf meinen Fernseher. Das sind keine idealen Voraussetzungen um ins KitKat zu gehen, einem Klub in Berlin, der etwas anders ist, als die anderen Clubs. Es ist eine große Halle in die ca. 400 Leute passen. Es läuft laut House/Trance/Techno, aber damit haben sie die Parallelen zu anderen Clubs auch. Innendrin ist so was wie eine andere Welt. Hunderte von Menschen in Latex/Leder Outfits. Oder auch gleich ganz nackt. Was in sofern praktisch ist, da die meisten dort hinfahren um zu vögeln. Alle, alle sind tätowiert, gepierct, gebrandet, gecuttet oder sonst wie gezeichnet. Ich stakste also in Boots aber mit Ella im Kopf in diese Vorhölle. S. & T. verschwanden nach ungefähr 30 Sekunden. Ich hab sie auch nicht mehr wieder gesehen. Ich stand wie versteinert in einer Ecke, weil das, was da um mich herum passierte, mit dem was in mir passierte so was von überhaupt gar nicht zusammen wollte. Aber nun war ich schon mal da und beschloss das Schauspiel zu beobachten. Ein Wodka (doppelt) und eine Sitzgelegenheit in einer etwas ruhigeren Ecke nebst meinem "Wenn Du mich ansprichst bist du tot" Blick sorgten für leichte Entspannung.
Ungefähr eine Stunde und zwei weitere Wodka später fand ich mich in einem sehr intensiven Gespräch über die Vor- und Nachteile von Stiefeln mit 10 Zentimeterabsätzen mit einer Frau wieder, die ebenso wie ich, an diesem Abend ins Kitty verschleppt worden war. Wir beide trohnten mittlerweile auf einem Rundsofa, fröhlich Wodka trinkend und den Alltag dieser Welt besprechend, gierige Blicke ignorierend. Um uns herum tobte das Leben. Aber so was von. Da wurde geknutscht, geleckt, geblasen, gefickt, gefingert und gekommen, was drin war. Und in mitten dieses orgiastischen Chaos, diesen Strömen von Schweiß, Gel, Sperma und was weiß ich noch, saßen wir, betranken uns langsam aber sicher und plauderten über Mädchenkram. Wir beobachteten die Berufswichser, die wie eine Horde Schmeißfliegen immer in die Ecke zogen in denen gerade gevögelt wurde, und wunderten uns, was das bringen soll, die halbe Nacht mit seinem Schwanz in der Hand durch einen Club zu laufen. Wir bewunderten einen Schwulen, der den perfekten Körperbau hatte und dem die ganze Zeit zwei andere, nicht ganz so perfekte Schwule zu Füssen lagen. Wir tranken weiter, diskutierten das Pro und Kontra von kleineren Bierbäuchen (sieht scheiße aus, schmiegt sich aber nett im Rücken an) beobachteten einen Typen, der seine Freundin eine knappe halbe Stunde wie eine Nähmaschine vögelte und fragten uns, ob sie dabei schläft, oder doch genießt. Wir kicherten über den recht vollschlanken Mann, der sein Weib an einer Kette hinter sich herzog, sich auf ein kleines Podest stellte, und sich dort, damit es auch alle sehen konnten, allen blasen ließ. Morgens um 4 waren wir dann beide nett betrunken, so eine Mischung aus Leichtigkeit, Freude und Wärme, und wir probierten aus, ob wir nicht nur reden, sondern auch noch was anderes machen können, was gut funktionierte, aber ich wollte es dabei belassen. Denn mittlerweile hatten sich Ella und Louis wieder gemeldet, und ich wollte nur noch in mein Bett, alleine, vielleicht die Zehen am Ende der Bettdecke rausschauen lassen, mit ihnen wackeln, leicht angetrunken darüber kichern und sanft einschlafen.
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