belledejour
 

 
Der Mann in der Tür

Freitag Abend. 19.30 Uhr. Meine Laune pendelt zwischen ausgehungerter Wölfin und Atombombe kurz vor erreichen der kritischen Masse. Lebensgefährte kommt erst morgen, statt wie angedacht, heute. Essen vergessen. Lieblingstee mal wieder alle. Gerade nach Hause gekommen. Noch im Mantel. Es klingelt an meiner Tür. Eine Haselmaus in grau. Dick. Wenig Haare. Hässlich. Grauer Anzug. Weißes Hemd. Blaue Krawatte mit Schiffchen drauf. Doppelkinn. Bevor ich "Was denn?" sagen kann, motzt er mich an.

- Sie sind Frau *************?
- Was wollen sie??
- Ich war jetzt schon zweimal bei Ihnen hier oben. Schön, dass Sie diesmal sich entschlossen haben, die Tür zu öffnen.
- Bitte? Sagen Sie mal...
- Nun, darf ich reinkommen?
- Sicher nicht! Guten Tag.
Ein Fuss in der Tür
- Hören Sie, Frau *************, so kommen wir nicht weiter. Wir bekommen Sie ja doch. Das hat einen Zweck.

Ich bin sehr, sehr kurz davor, die Reste meiner guten Erziehung zu vergessen, zische aber nur
- Nehmen Sie den Fuß aus der Tür, oder es wird schmerzhaft.
Er, unbeirrt, sogar noch lauter werdend.
- Mir ist das egal, wenn ihre Nachbarn das mitbekommen, wir können das auch hier regeln.
- Was! Wollen! Sie!
- Steuerfahndung. Sie haben ihre Steuer nicht angemeldet.
- ICH HABE WAS????
- Tun Sie nicht so, wir haben sie schon lange auf dem Kiecker.
- Zeigen sie mal ihren Ausweis.
- Wir sollten rein gehen.

Meine Halsschlagader hatte mittlerweile den Umfang einer alten Eiche. Mit einer Hand zücke ich das Handy aus meiner Manteltasche.

- Ihren Namen, zackzack.
- Ich bin nicht verpflichtet
- Ihren Namen, oder wir beide bekommen hier RICHTIG ÄRGER.
Das Wort "Ärger" hallt ein wenig im Hausflur. Da keift dieser Wicht zurück.
- Wenn Sie mich JETZT NICHT REINLASSEN, wird das SEHR TEUER. Sie sind ja hysterisch.
- Ok, dann ohne Namen.
Ich wähle 110.

Ich: Guten Tag, meine Name ist ***** ich wohne blablabla. Hier ist ein Mann vor meiner Tür, der mich belästigt....
Wicht: Ja, rufen Sie die Polizei! Die werden Sie festnehmen!
Polizist: Was ist denn da los?
Ich: Können Sie nicht einfach schnell jemanden vorbei schicken, der Kerl hat einen Fuß in meiner Tür und bedroht mich.
Wicht: Ja, kommen sie schnell. Diese Frau ist hysterisch.
Polizist: Hat er eine Waffe?
Ich: NOCH NICHT, ABER ICH GLEICH WENN SIE NICHT SCHLEUNIGST HIER HER KOMMEN
Polizist: Handelt es sich um Ehestreitigkeiten?
Ich: Nein!!! Hier ist ein fremder Mann, der mich bedroht. Muss ich mich erst umbringen lassen?
Wicht: ICH BIN VON DER STEUERFAHNDUNG!
Polizist: Nein, nein. Können Sie Nachbarn um Hilfe bitten?
Ich: Soll ich das Treppenhaus zusammen brüllen?
WIcht: STEUERFAHNDUNG, diese Frau ist eine Betrügerin.
Polizist: Wenn es nicht anders geht. Ich schicke mal einen Wagen vorbei
Wicht: NEHMEN SIE DIESE FRAU FEST!
Ich: Bitte. Schnell. Brauchen Sie noch mal meine Adresse?
Polizist: Nein, nein. Bleiben Sie mal dran bis die Streife da ist.
Wicht: ICH WILL JETZT IHRE UNTERLAGEN SEHN.
Polizist: Was will er?
Ich: Meine Unterlagen sehen. Er behauptet von der Steuerfahndung zu sein.
Polizist: Achso. Der darf schon rein. Hat er einen Ausweis?
Ich: Nein! Ich bin mir sogar sehr sicher, dass der nicht von der Steuerfahndung ist.
Polizist: Ach, die haben da schon mal komische Typen.
Wicht: WAS REDEN SIE DA? ICH BIN VON DER STEUERFAHNDUNG, SIE SCHLAMPE.
Ich: Fick Dich, Mopsgesicht.
Polizist: Bleiben Sie ganz ruhig.
Wicht: brabbelt
Ich: Ich versuchs.
Polizist: Hat er sie angefasst?
Ich: Nein, nocht nicht. Soll er mal tun.
Polizist: Bleiben Sie ganz ruhig, sie machen das sehr gut.
Ich: Ich bin nicht schwanger
Polizist: Was?
Ich: Vergessen sies. Dauert das noch lange?`
Wicht: ICH WILL DA JETZT REIN.

Mit einem Ruck drückt er die Tür auf und stürmt an mir vorbei.
Ich: Waaaahhh. Jetzt ist er in meiner Wohnung.
Polizist: (seelenruhig) Gehen Sie doch einfach raus.
Ich: Ich soll den in meiner Wohnung alleine lassen?
Polizist: Also reingehen sollten sie nicht.
Ich: Ach.
Wicht: WO SIND DIE UNTERLAGEN. ICH DARF ALLES SEHEN

Auftritt: männliche Hälfte der neuen Nachbarn.

Nachbar: Alles ok?
Ich: NEIN.
Nachbar: Wasn los?
Polizist: Sind die Kollegen schon da?
Wicht: SIE SIND DRAN, SIE SCHLAMPE. BETRÜGERIN.
Ich: Nein. Die sollen sich beeilen. Der ist ja irre.
Nachbar: Ich kann die Polizei holen.
Ich: Danke, mit der rede ich gerade.
Nachbar: Na dann. Ich wart mal besser bei Ihnen.
Ich: Danke
Polizist: Sagen se mal. Was hat der gesagt?
Ich: Das ich eine Betrügerin bin
Polizist: Nein, wo er herkommen würde,
Ich: Steuerfahndung, verdammt.
Polizist: Achje.
Ich: Wieso?
Polizist: Ach, den haben wir dann wahrscheinlich heute schon mal fest genommen.
Ich: Bitte was????
Polizist: Ich sag den Kollegen mal, dass die sich beeilen sollen, bleiben sie mal dran.

Wicht wühlt mittlerweile in meinen Unterlagen auf dem Schreibtisch und reißt Schubladen raus.
Wicht: WIR KRIEGEN SIE ALLE. WO IST IHR GELD. SIE MÜSSEN ALLES NACHZAHLEN.
Nachbar: Du hast Ärger mit der Steuer?
Ich: DAS SIEHT JA WOHL EIN BLINDER, DASS DER NICHT VOM FINANZAMT IST.
Nachbar: Ach. Naja. Kommen die Bullen jetzt?
Ich: SIND DIE BALD DA, DER NIMMT MEINE WOHNUNG AUSEINANDER.
Polizist: Ja, gleich.
Wicht: SIE SCHLAMPE. SIE DRECKSSCHLAMPE. JETZT HAB ICH SIE.

30 Minuten später stehe ich in meinem völlig verwüsteten Zimmer. Mein Schreibtisch - nicht mehr zu sehen. Der Boden voller Papiere. Die beiden Polizisten haben 10 Minuten gebraucht um den Irren aus meiner Wohnung zu entfernen. Ins Gefängnis kommt er nicht. Ist ja nur Hausfriedensbruch. Aber evtl. mal für eine Woche in die Klapse. Es war schon das vierte Mal innerhalb von einer Woche. Ich hab Anzeige erstattet. Ich brauche über eine Stunde um alles wieder in die Schubladen zu stopfen. Erst dann setzt der Schock ein. Kerl ist endlich zu erreichen. Tröstet mich und sagt, dass es eher morgen Abend, als morgen Mittag wird. Ich lege beleidigt auf, nachdem ich noch was sehr hässliches gesagt habe. Kann mein Leben nicht einmal normal sein? Muss ich immer diese Irren anziehen? Muss die Rache für das letzte Wochenende sein. So ist das, in diesem Scheißleben.

Samstag, 15. November 2003, 03:12, von anne | |comment

 
zur gleichen zeit im paralleluniversum:
telefon: "was hat der gesagt, wo er herkommen würde?"
anne: "steuerfahndung, verdammt. "
typ: "SIE DRECKSSCHLAMPE."
telefon: "klingt eher nach gez, wenn sie mich fragen."

[aber abgesehen davon natürlich mal tiefstes mitgefühl. und so.]

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Loriot 2003. Wundervoll.

[aber abgesehen davon natürlich mal tiefstes mitgefühl. und so.]

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Um Himmels Willen
was für ein Horrortrip! Mein Mitgefühl in Ihre Richtung. Und: Wacker geschlagen! Es ist immer wieder schockierend, was so passiert. Loriot fällt mir da auch ein, allerdings erst auf Ebene 10.
Mir war einmal eine stadtbekannte Gang auf den Fersen; hatte jemanden geschützt, auf den diese ein Anrecht zu haben glaubten. Die herbeigerufene Freundestruppe erschien zu meiner Rettung 30 Minuten vor der ebenfalls gerufenen Polizei. Letztere wäre zu spät gekommen...
Wie fühlen Sie sich jetzt?

Gruß
kath

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Starke Anne, verwirrter Wicht, Nachbar dabei, Polizei am Apparat und unterwegs – keine Situation, die ich als furchtbar bedrohlich empfinde; aber: Selbst wenn diese Geschichte Fiktion wäre, schon die Möglichkeit, dass sie es nicht ist, setzt mich ins Unrecht: Sie haben wohl Recht, Kathleen, mein Kommentar war geschmacklos. Entschuldigen Sie, Anne.

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Kenne niemanden von Euch...
...hätte aber auf keinen Fall auf diese Geschichte einen billigen Brouhaha-Gag gesetzt. Nur um einen Gag zu setzen. Weil die Arschlöcher halt allzu gegenwärtig sind. Und zuschlagen, wo man sie am Wenigsten erwartet, noch gebrauchen kann. Immer noch kopfschüttelnd über diese unglaubliche Geschichte. Und: Hut ab - ICH wäre eventuell final gewalttätig geworden.

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...was Euer Recht und möglicherweise lebensrettende Maßnahme wohl gewesen wäre, wage ich zu behaupten. Was soll man denn tun, wenn sich die Schutzmacht derart Zeit läßt? Gutwillig sich masakrieren lassen?

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fairerweise muß man aber auch den Grünofanten zugestehen, daß sie einen gewissen Anfahrtsweg haben. Und wenn sie halt grad damit beschäftigt sind, am andren Ende des Reviers einem Fehlalarm nachzujagen…

Was ihre eher lässige Gangart angeht: das ist halt Ansichtssache. Nicht falsch verstehen: während unsereins die Polizei nur anruft, wenn wirklich was gravierendes passiert ist, rufen andere Leute in hehrer Panik und Entrüstung an, wenn die Katze vom Nachbarn bei ihnen in den Garten kackt. Wie will man eine hysterische Person von einer unterscheiden, die wirklich gerade bedroht wird? Die Spreu vom Weizen zu trennen ist gerade in den Einsatzzentralen nicht trivial.

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@dr no: wissense, frau belledejour und ich kennen uns jetzt schon seit jahrzehnten, da sind brouhaha-gags durchaus drin. außerdem schrieb ich den disclaimer von wegen mitgefühl dazu. der "ernst der lage" wird ja durch meinen zwang, kalauer zu reißen, nicht verändert. und so.

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In solchen Momenten
… meint man wirklich, daß man ein Magnet für Seltsamkeiten ist.

Aber, ehrlich, du hast das klasse gemacht. Ich glaub nicht, daß ich so geistesgegenwärtig gewesen wär. Anzeige erstatten ist immer gut: vielleicht kommt der Herr von der Steuerfahndung dann mal für länger in medizinisch-psychiatrische Betreuung.

Ich muß aber zugeben, bei den ersten Sätzen dachte ich auch an GEZ.

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skurril
Was das Grossstadtleben mit sich bringt!? Früher in Frankfurt ähnliches erlebt. Aber dass er nicht von der Steuerfahndung war, war ja eigentlich schon im ersten Moment klar. Da kommen in mir Gedanken hoch, ob es manchmal nicht sinnvoll ist zuerst zu schießen und dann zu fragen ;-) Insofern war Deine Reaktion in dieser Situation wahrscheinlich die Beste aller möglichen. Nen guter Staatsanwalt hätte da keine Probleme mit einem Unterbringungsbeschluss, aber wo gibts noch gute Staatsanwälte!?

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bei Udo nachfragen?

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Völlig ohne Mitleid...
... und Wertung des Ereignisses möchte ich meine Freude über folgenden Satz ausdrücken:
" Meine Halsschlagader hatte mittlerweile den Umfang einer alten Eiche."

Danke (und natürlich weitermachen!)

Nihilist (ein anderer!)

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