belledejour
 

 
Dienstag, 14. Oktober 2003
Tropf, tropf

Natürlich hatte die Sache doch noch ein Nachspiel. Denn der Geruch war irgendwann verflogen und die Lust nach mehr floß wie heißes Blei durch meine Aterien. Doch da hatte ich die Rechnung ohne das Leben gemacht.

Kaum wieder in Berlin, sah ich verdächtig viele Kleinlastwagen mit Handwerkereigenwerbung auf den Seiten vor dem Haus stehen, in dem meine Wohnung ist. Der erste Gedanke: "Da wird wohl einer renovieren" war gar nicht so falsch, bis auf den Umstand, dass es u.a. auch meine Wohnung sein würde, die man renovieren muß. Mein Nachbar meinte, sich umbringen zu müssen. Deswegen hatte er sich mit Pillen vollgestopt UND in eine Badewanne gelegt. Er schlief dann ein, bevor er das Wasser wieder abstellen konnte. Das hatte wiederum zur Folge, dass nach kurzer Zeit das Wasser auf dem Flur rann, jemand die Feuerwehr rief, die den Kerl aus der Wanne zerrten. Endergebnis: Ein geretteter Nachbarn und meine Zimmerdecke, aus der das Wasser tropfte. Normalerweise mag ich es ja nun eher nicht, wenn einer ungefragt in meine Wohnung geht. In diesem Fall bin ich dem Hausmeister extrem dankbar, denn er rettete meine Büchersammlung und einen große Teil meiner "Dead can Dance" Vinyls. Die DSL Anlage leider nicht. Die wurde in den Abgrund gerissen, als Wasser in die Kombisteckdose tropfte.

Ich versteh so Leute nicht. Ich war auch schon verzweifelt und hab Dinge getan, über die ich lieber nicht reden möchte. Auch wollte ich mich schon mal umbringen. Also ein gewisses Verständnis ist da schon da, allein wegen der Seelenlage. Einerseits. Andererseits finde ich sowas höchst lächerlich. Ich hab mich damals umbringen wollen, weil (wow - Klischee) ich unglücklich verliebt und verlassen war. Allerdings kam ich rechtzeitig noch auf die Idee, dass ich diesem Arschloch ja nicht auch noch den Triumph geben wollte, dass ICH mich wegen IHM umgebracht hätte.

Während ich also nun Handwerker in der Wohnung habe, die meine Zimmerdecke trocken legen, hab ich heute in einem Anfall von Mitleid den Nachbarn im Krankenhaus besucht. Man sieht sich ja sonst nur im Treppenhaus. Der Kerl, vielleicht Anfang Zwanzig, lag mit einem Gesicht wie eine Schlechtwetterfront in seinem Bett und als er mich erkannte, zuckte er leicht zusammen. Er sei versichert. Na immerhin. Interessierte mich aber nicht. Ich wollte wissen, warum er sich denn nun umbringen wollte. Es sei über ihn gekommen, die Freundin weg, das Geld alle, kaum Freunde, eine Flasche Whiskey. Was für ein Whiskey, wollte ich wissen. Er schaute mich entgeistert an und meinte, irgendeiner von Plus. Da bin aufgestanden, rausgegangen, gegenüber in den Supermarkt, wieder zurück und hab ihm eine Flasche Lagavulin hingestellt. Dann hab ich ihm gesagt: "Schlechter Alkohol macht schlechte Gedanken. Und wenn Du draussen bist, dann trinken wir beide die leer und du wirst sehen, wie das geht, mit dem Leben."
Manchmal hab ich echt ein gutes Herz.

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