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Zwei Städte

Ich wohne in zwei Städten. Ich selbst in Berlin, mein Lebensabschnittsgefährte in Hamburg. Ich hasse Hamburg. Das einzige, wofür man Hamburg halbwegs mögen kann, sind die Einkaufsmöglichkeiten. Der Neue Wall etc. Das ist mal praktisch. Alle Läden, die meine Kreditkarte zum explodieren bringen wie Perlen auf der Schnur aufgereiht. In Berlin muss dafür noch ellenlange Wege mit dem Taxi auf sich nehmen, und um die merkwürdigen "In-Läden" zu finden, muss man auch noch stundenlange Telefonate mit irgendwelchen Bekannten auf sich nehmen. Das ist Streß. In Hamburg fahre ich mit der U-Bahn zjm Jungfernsteig, steig aus, kaufe mich blöd, steige am Jungfernstieg wieder in ein Taxi und fahr wieder nach Hause.

Der Freund wohnt in Eppendorf. Wo sonst. Meine Versuche, ihn nach St.Georg oder in Schanze zu bewegen, wurden alle schon im Keim erstickt. "Zu dreckig". Dabei ist die ganze Stadt dreckig. Eppendorf ist keinen Deut besser, als die Schanze. Und ich wette, der Drogenumsatz ist da auch höher. Aber in Eppendorf sieht man das eben nicht, weil alles hinter den Zuckergussfassaden stattfindet. Hamburg ist eine Stadt der Lügen und des Verdrängens. Sagen sie mal einem Hamburger, dass die Leute in der Stadt langweilig sind. Er wird bedächtig nicken und sagen: "Ja, hier lebt man eher zurückgezogen. Aber schön ist es hier. Oberfläche galore. Wenn man dabei mitmacht, dann kann man es in Hamburg gut aushalten. Dann wird man zu einem Brunch eingeladen, auf dem die Frauen die neuesten Schönheitsrezepture von "Maria Galland" durchtucken, während die Männer über Sport oder eine neue Harley, oder den neuen BMW philosophieren. Und wenn die ersten drei Prosecco Falschen leer sind, dann tauschen sich die Frauen über ihre, natürlich, extrem zufriedenstellende Beziehung aus, auch wenn man das Wort "Lüge" hinter den Augen in großen Kapitalen leuchten sieht. Da das aber alle machen, ist es nicht weiter schlimm. Ich mach das ja auch.

Berlin ist noch dreckiger. Ich hab nie eine Stadt auf der Welt gesehen, die aus soviel Hundescheiße besteht, wie Berlin. Jeder Idiot hat hier eine Töle, die den ganzen Tag nichts anderes macht, als auf die Strasse zu scheissen. Die Architektur ist eine Katastrophe. Der Potsdamer Platz eine Wichsvorlage für Nachwuchsarchitekten. Aber, man kann hier entspannt leben. Die Leute lassen einen so wie man ist. Tagsüber Putzfrau, abends Nutte? Hey, man muss ja sehen wie man durchkommt. Geben sie sowas mal bei einem Brunch in HH an, und sie werden nie mehr eingeladen (Note to myself). Man kann hier leben, freit atmen und wenn man Leute trifft, dann haben die was zu erzählen. Es gibt hier jeden Tag Lesungen. In HH nur einmal im Monat, wenn man Glück hat. Außerdem gibt es hier, man mag es nicht glauben, die besseren Läden, wenn es mal im Bett langweilig wird.
Als ich meinen Lebensabschnittsgefährten kennenlernte, und er sagte, dass er in HH wohnen würde, war ich kurz davor ihn stehen zu lassen. Ich hatte drei Jahre in HH gelebt und ich hake diese Jahre unter "Verlorene Jahre" und "Schwarzes Loch" ab. Irgendwann mal mehr dazu.

Freitag, 3. Oktober 2003, 16:55, von anne | |comment

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